Donnerstag, 10. Juni 2010

# Personal Talk: Uwe Welsch aka DJ Mr. Brown und "Magic Cube"

DJ Mr. Brown aka Uwe Welsch gilt als legendärer Funk und Soul DJ aus und um Kassel. Schon in den 60iger Jahren begann er, den heißen Sound von den runden Scheiben aufs dortige Publikum zu jagen. In den frühen 70igern folgten etlichen Abende als Botschafter des Soul in diversen Clubs in Göttingen, Frankfurt und im Würzburger Raum. Mitte der 70iger tourte „Mr. Browns Funky Disco“ durch die amerikanischen Kasernen in Deutschland, anschließend folgte eine musikalische Beschallung von Kasseler Clubs mit Charts und Oldies. Im Jahre 1979 spielte er als einziger weit und breit die 15-Minuten Version von Rappers Delight, welche er in New York erstanden hatte. Von dort ab war er in sämtlichen angesagten Clubs in Kassel unterwegs, „Last Penny“ oder „Odeon“, nur um ein paar zu nennen. Auch heute beschallt er die Lauscher mit hervorragender Musik. Eben einmal DJ, immer DJ.

Wie bist du damals eigentlich 1967 zum „Auflegen“ gekommen?

Ein Freund von mir, Harald Wöhlbier, schon seit langem Deejay für die Kasseler Rock & Roll - Gemeinde, suchte eine Vertretung für einen Abend, an dem er nicht konnte. Seine Wahl fiel auf mich, weil er wusste, dass ich über eine große Schallplattensammlung verfügte. Es ging um einen Auftritt im "Fats Domino Club". Kundschaft: Weiße GI´s mit einer Vorliebe für Rock & Roll und R&B. (also Ray Charles, Hank Ballard, Lloyd Price...), sowie Doo Wop.

Wie kam es zu deinem DJ- Namen?

Die ersten DJs hatten damals Namen wie "Sir Henry", "King Oliver" etc. Meist trugen sie weiße Hemden und rotschwarz-karierte Westen in einer Umgebung, die an englische Pubs erinnerte. Ich wollte anders sein. Ich trug Jeans und T-Shirts und nannte mich "Charlie Brown" nach einem Hit der Coasters. Als später aber die "Peanuts"-Comics des Zeichners Carl Schultz in Mode kamen, und die Mädchen mir Charlie Brown Puppen und Snoopy Figuren schenkten, taufte ich mich um in "Mr. Brown" (Woraus die Zeitung auch gern mal Dr. Brown machte...)

Schildere doch bitte, wie man sich das Ganze für heutige Verhältnisse (Technik, Aufgeschlossenheit der Leute, Räumlichkeiten, Sperrzeit, Polizei usw.) vorstellen soll. Wie ist die „funky“ Szene in Kassel damals entstanden, wie hat sie sich entwickelt?

Nach einem erfolgreichen Start als DJ in einem Hinterraum, den wir "Soul City" nannten, kam ein bekannter Gastronom auf mich zu und bot mir einen Job in seiner für damalige Verhältnisse riesigen Location. Der "Club Atlantik" in Kassel. Es war ein Tempel für Live (Beat) Bands, die aber bald aus der Mode kamen. Zuerst hatte ich noch die Auf- und Abbau-Phasen musikalisch überbrückt, später löste ich alle Bands ab, d.h. nur einige Soulbands durften noch Gastspiele geben, eingebettet in mein Disco-Entertainment. Meine Anlage bestand aus einem kleinen Mischpult, 2 Plattenspielern, 2 hochmodernen Röhren-Verstärkern und 2 kräftigen Boxen in Sarggröße. Ein Abend ging in der Regel von 18:00-01:00, Samstags bis 2:00. Um 22:00 kam oft die Polizei, um die Jugendlichen unter 18 Jahren rauszuholen. (Wer erwischt wurde, wurde meist zu seinen Eltern gebracht!) In diesem Club verkehrten überwiegend US Soldaten, belgische Soldaten (die ebenfalls in Kassel stationiert waren) marokkanische Gastarbeiter, Nutten und ihre Zuhälter, Kleinkriminelle, Drogen-Dealer, aber auch Studenten aus aller Welt und jede Menge musikbegeisterte Kids. Eine wahrhaft explosive Mischung. In den Augen der braven Mitbürger: Der reine Abschaum. Die Entwicklung zu einer Disco in der Funky Music der vorherrschende Sound wurde, kam schleichend. Zuerst spielte ich nur den sogenannten "Memphis Sound" (Sam & Dave, Otis Redding, Aretha Franklin etc.) und Motown, aber die Shouter ala James Brown, Wilson Pickett und die ersten Funkbands passten noch besser zu meinem wilden Publikum. Vor allem J.B.´s "Say It Loud, I´m Black And I´m Proud" verwandelte den Club in eine Black Power Location, die immer gefährlicher wurde. Besuche der "Black Panthers" und anderen Organisationen kamen vor, eine Massen-Schlägerei von 50 schwarzen GIs gegen die Kassler Polizei entrüsteten die breite Öffentlichkeit und als der Club, von einem schwarzen Manager übernommen (Ähnlich wie bei STAX Records in Memphis, waren die Schwarzen in dieser Zeit des neuen Selbstbewußtseins "Black Is Beautiful" der Meinung, dass die Weißen sich (geschäftlich) aus der Soul Scene raushalten sollten) trotz toller Live-Shows (The Persuaders u.a.) pleite ging, weinte dem legendärem Club, in dem ich 3 Jahre gearbeitet hatte, niemand eine Träne nach. Die Disco "Last Penny" wurde der legitime Nachfolger. Und hier entspannte sich Gott sei Dank die Situation!

Bild: Club Atlantik im Jahr 1968 (copyright by Uwe Welsch)

Was die funky Scene betrifft: Im Gegensatz zu heute, wurde in 90% der deutschen Discos überwiegend Rock, Top 40 und höchstens weichgespülte Soul Music ala Miami Sound, Motown und Disco gespielt. Funk und Soul galt als "Underground", Deep Soul Balladen und den frühen, unpolierten Funk gab es sowieso nur in den Clubs, in denen die schwarzen US Soldaten verkehrten. Heute wird zwar überall "Black Music", der echte Funk aber nur in kleinen Clubs in den Großstädten gespielt (Hip Hop, basierend auf den Original Basslinien von Funk-Hits vergangener Tage, ist ungleich beliebter). Was mich allerdings sehr freut, ist das Interesse von jungen Leuten an Acts wie Sharon Jones & The Dap Kings, Lee Fields etc. Also, es gibt noch Hoffnung!

Alleine Musik auflegen und konsumieren macht wenig Spaß. Welche waren deine DJ-Kumpels um die Freude zu teilen, wie kam es dazu? Welche Freundschaften bestehen heute noch aus der Zeit?

Mit einem, DJ Walter (auch er arbeitete im "Odeon") habe ich viele Reisen unternommen, wir sind noch heute befreundet und treffen uns oft. Der amerikanische Sänger und DJ Jeffrey Staten (Hit "In Zaire") arbeitet ab und zu noch immer mit mir zusammen. Mit den meisten anderen Deejays aus vergangenen Tagen verstehe ich mich nach wie vor sehr gut. Das Wort "Freundschaft" ist mir allerdings heilig, "viele Freundschaften" kann man, nach meiner Ansicht, nicht haben.

Bild: Uwe Welsch und Jeffrey Staten im Jahr 2010 (copyright by Uwe Welsch)

Ich weiß, ich spinne, Dich dass zu fragen, aber was waren für dich die größten/schrecklichsten Momente beim „Auflegen“ bisher bzw. wo warst du besonders glücklich/unglücklich? Welche siehst du als deine stärksten/einflussreichsten Jahre an?

Auf dem Höhepunkt der "Race Riots", der Rassenkrawalle in den amerikanischen Kasernen in Deutschland, durch die ich 1974 und 1975 tourte, hatte ich im "EM Club", Bad Hersfeld folgendes Erlebnis: In den meisten Kasernen gab es EINEN Abend speziell für die schwarzen GI´s. Meine portable Disco war hinter einem Vorhang auf einer Bühne aufgebaut und der Manager des Clubs kündigte mich an. "Ladies and Gentlemen, here is Mr. Brown´s Funky Disco!!" Der Vorhang öffnete sich und das zu 90% schwarze Publikum (die anderen 10% waren deutsche Frauen) sah mich zum ersten Mal. Eine feindse-lige Stimmung machte sich breit. Aus dem Grollen des Publikums drangen Worte wie "Motherf.....r" und "Pig" zu mir, offensichtlich hielt man nicht viel von der Idee, einen weißen DJ für die wöchentliche "Soul Night" zu engagieren.

Bild: US Club Giessen, 1974 (copyright by Uwe Welsch)

Ich blieb cool. Ohne ein Wort zu sagen spielte ich Songs wie: "A Dime Away From A Hot Dog", "She´s A Burglar" und andere im charakteristischen Low Down Funk Beat (zu dem damals eigentlich nur Schwarze wirklich tanzen konnten, so um die 75 BPM, ein Rhytmus zu dem man, na ich sag mal, die Hüften schwingen mußte) Das Murren verstummte. Die GI´s, die in kleinen Gruppen an Tischen saßen, wippten synchron im Beat. Sprachlos starrten sie mich an. Ich hatte bisher nur Songs gespielt für Leute "In The Know", also für Leute, die sich auskannten. Dann nahm ich zum ersten Mal das Mikro in die Hand. Ich sagte, leicht grinsend, "So now You see, where I´m coming from", was soviel bedeutet wie "Ihr seht also, ich gehöre zur Scene". Alle standen auf und schrien: "Right On, Brother!" Und in den tosenden Applaus spielte ich mein Instrumental-Funk Intro...Was für ein Abend. Der wichtigste Hit in diesem Jahr (1974) war allerdings ein Blues, den ich gerade aus London mitgebracht hatte. Es war eine US Import Single von Latimore, und zwar "Let´s Straighten It Out".

Als ich diesen Song zum Abschied auflegte, brach ein Tumult aus. Die Begeisterung des Publikums für diesen Song war unglaublich. Ich musste diesen Song, der übrigens auch für mich der beste Soul Song aller Zeiten ist (gnadenlos guter Text) tatsächlich 10 Mal (!) hintereinander spielen, bevor ich meine Show beenden konnte.

Große Momente...Mann, es gab so viele...Aber natürlich auch Flops! Einer der schlimmsten Abende hatte ich in "Henry´s Bar" in Kassel. Henry, ein alter Freund, mit dem ich seinerzeit (1967) "Soul City" gegründet hatte und der mittlerweile eine kleine Bar in Kassel besaß, kündigte mich auf einem Pappschild mit der Aufschrift "Heute: Uwe Braun´s Soul Party!" an. Abgesehen davon hatte er sich den ungünstigsten Tag des Monats dafür ausgesucht, nämlich den ersten Tag der "Wehlheider Kirmes", eines sehr beliebten Volksfests bei uns. So kamen nur ca. 15 Leute in die Bar. Und die hatten leider alle eine völlig andere Meinung darüber, was "Soul" nun eigentlich ist! Entsprechend der geschmackvollen Ambiente der Bar hatte ich die "Party" mit Songs von George Benson, Stevie Wonder, Lou Rawls und ähnlichen Künstlern eingeleitet, als mich einer der Gäste anschrie: "Das ist kein Soul! Soul ist Otis Redding, Percy Sledge und Wilson Pickett!" Ich versuchte gerade ihm zu erklären, dass ich den Memphis Sound auch noch spielen würde (der Abend wäre ja noch soo lang), als sich zwei junge Mädchen wissen wollten, warum ich nur "so einen alten Scheiß" spielen würde, Janet Jackson wäre doch angesagt...Nun mischte sich ein weiterer Gast ein. "Was glaubt Ihr, weshalb man James Brown den "Godfather Of Soul" nennt? Komm schon, Junge spiel´ James Brown oder Curtis Mayfield oder so was, das ist Soul!"

(Wieder was gelernt) Ich versuchte einigermaßen cool zu bleiben. "Ihr habt ALLE irgendwie recht. Alle genannten Interpreten sind Soul Sänger...Aber, Leute, es geht nicht anders: Ich muss die Songs der REIHE NACH spielen...GLEICHZEITIG hört es sich furchtbar an..." Aber es half nichts. Nach und nach verließen sie (entrüstet) die Bar.

Meine stärksten Jahre? Natürlich die ersten zehn! So lange konnte ich nämlich kompromisslos Soul Music auflegen. Später musste ich auch andere Stilrichtungen in mein Repertoire integrieren, um lukrative Jobs zu bekommen. In der (kleinen) Soul Scene bediente man sich zunehmend schwarzer GI´s, die für ein paar Dollar und freie Drinks (und die fast garantierte Aussicht auf "Pussy") arbeitete. Ich hatte Familie, ich brauchte mehr Geld.

Sprechen wir von der Maxi „Magic Cube“. Soviel ich auf dem Label und Cover ersehen kann, handelt es sich um eine Privatpressung, produziert von Dir und R. Schneider. Für heutige Verhältnisse ist der Sound immer noch lecker wie Frischmilch, das Cover ist mächtig abgefahren, dennoch für mich alles ziemlich nebulös, was das Ganze soll. Kannst du mich bitte aufklären? Wie kam es zu dem „Bandnamen“? Wer hatte die Idee wie steht das ganze im Zusammenhang? Im speziellen: Wer ist Wali Davis? Wo und wie wurde die Musik aufgenommen und wer hat mitgewirkt, wer ist heute noch aktiv? Was für eine Auflagenzahl hattet Ihr und wie wurde Sie vertrieben? Was hat das Bild auf dem Cover für eine Bedeutung? Gibt es noch eine weitere/andere Auskopplung von „Magic Cube“? Gibt es sonstige Informationen, den man hierzu unbedingt wissen muß?

Okay. Von vorn. Robert Schneider ist ein sehr guter Pianist und heute noch als Keyboarder in der Gruppe "Route 65" tätig. Er hatte einen Instrumental Track komponiert und suchte zwei Rapper in der hiesigen Discoscene. Seine Wahl fiel auf Wali Davis (ein afroamerikanischer Deejay aus Boston, USA) und auf mich. An einem Sonntagmorgen im Juni 1982 trafen wir uns im Tonstudio der Musikhochschule Kassel, um den Rap aufzunehmen. Was den Text betrifft, so schrieb jeder seinen eigenen. Die Idee war, daß ich über die Soul Classics rappen sollte und Wali Davis über die Funk-Scene, um dann gemeinsam und versöhnlich zu verkünden: "I don´t care what people say - Sweet Soul Music´s here to stay" . Wir hatten den Text so geschrieben, dass wir ihn lässig vortragen konnten über der damals populären Geschwindigkeit von 110 BPM. Leider hatte die Studioband den Song bereits eingespielt, als wir an jenem Morgen, immer noch müde und verkatert, eintrafen und zwar in der Disco-Geschwindigkeit von 124 BPM! Deshalb schrieb man in der Kasseler Zeitung "Extra Tip" auch zu Recht: Mr. Brown und Wali Davis rappen, als ob der Teufel hinter ihnen her wäre"...Es gab noch einen Grund zur Eile: Wir hatten das Studio nur noch kurze Zeit zur Verfügung! Es musste schnell gehen. Wir nahmen den Song in nur einem "Take" auf.

Bild: Magic Cube - Hi-Lites! (copyright Uwe Welsch)

Im September 1982 erschienen die ersten 1000 Exemplare auf dem Markt. Die Schallplattenläden in Kassel nahmen uns ca. 100 ab. 300 wurden nach Österreich verkauft, 600 nach Spanien. Der Vertrieb ging über STREET HEAT RECORDS, weil der Besitzer, John Anthony Taylor, ein Freund von mir war. Der stellte übrigens auch zwei entscheidende Fehler fest: 1. fehlte dem Song eine Hook-Line (Refrain) und 2. war der Sound nicht "knackig" genug! (Robert war ein Hi Fi Freak, er wollte einen warmen Klang). Zwei Gründe also für einen Remix! Wir schrieben den Refrain: "These are the Hi-Lites - from James Brown to the Chi-Lites"...etc. und sandten den Song an den besten Remixer, den John kannte: An Ben Liebrand in Holland! Leider war der aber gerade weltweit populär geworden durch seine Remixe, Schallplattenfirmen standen Schlange, um seinen Service zu bekommen und daher landete unsere kleine Scheibe ganz unten im Stapel...

Bild: v.l.n.r. Wali Davis, Mr. Brown, Robert Schneider und Peter, der Ton-Ingenieur
(copyright by Uwe Welsch)

Von Magic Cube kam nie wieder etwas auf den Markt, es gab auch keine weitere Pressung von "Hi-Lites". Wir alle hakten es ab, als Erfahrung...

(Das Cover habe ich gestaltet, das Photo entstand vor dem damals populären Club "Bohemia". Übrigens: Aus Kostengründen hatten wir das Cover nicht vierfarbig drucken lassen. Auch die Hüllen haben alle Beteiligten selbst geklebt. Das sparte auch noch was...)









Heute sind die Bezugsquellen für Musik recht einfach zu finden. Ab ins Internet, und in ein paar Mausklicks hat man den Sound seiner Wahl erstanden. Wie kann man sich das vorstellen, damals an den heißen Sound zu kommen?

Damals waren Amsterdam, Antwerpen und London die heißen Adressen für Import-Scheiben aus den USA! Jeder DJ, der etwas auf sich hielt, wühlte tagelang in den Neuerscheinungen herum. immer auf der Suche nach Songs, die sonst keiner hatte! Ich kannte DJs, die sogar bei der Arbeit Schablonen über die Plattenaufdruck legten, damit weder ein Gast, noch ein Konkurrenz-DJ den Titel, Interpreten oder Plattenlabel erkennen konnte. Über Mikro angesagt wurden solche "Juwelen" erst, wenn sie auch bei uns in den Handel kamen...(Manche Titel blieben daher für immer geheim)

Was hat es mit dem damaligen Trip nach New York auf sich?

Der Besitzer des Clubs "Carthago", ein Tunesier, hatte es sich zur Aufgabe gemacht, aus seinem Club die "beste Disco Nordhessens" zu machen, deshalb schickte er mich mit ein paar tausend Dollar nach New York um Platten einzukaufen. (November 1979) Und zwar genau zur rechten Zeit für die ersten großen Rap Hits an der Eastcoast: Fatback Band´s "King Tim III", Ron Hunt´s "Spyder Rap" und natürlich The Sugarhill Gang, mit "Rapper´s Delight". Die Leute tanzten in der 42. Straße auf dem Bürgersteig zu diesen Klängen!

Wie bzw. mit welchem Medium legst Du heute auf und was und vor allem wo? Wie hat sich dein Stil zu damals geändert?

Tja, heute...Heute arbeite ich ohne Kopfhörer! Ich mixe nicht mehr und ich scratche nicht mehr. Ich drücke nur noch auf "Play"...denn ich spiele CDs. Na ja, ich mixe schon noch. Zu Hause, am PC. Kleine Sequenzen, oder 3 Songs in a Row. Die brenne ich dann auf eine CD. So schone ich meine Ohren. Ich möchte nämlich noch ein paar Jahre meine geliebte Musik hören...Das Mikrophon ist mir aber immer noch wichtig! Ich möchte, dass die Leute spüren, "der Deejay feiert mit uns" und die Fans erfahren außerdem, wie die Interpreten und Bands heißen, die ihnen so viel "Dampf machen"...

Welche Scheibe siehst du als den „Holy Grail“ des Funk and Soul an? Welche Scheibe hat Dich schon dein ganzes Leben begleitet und hat dein DJ-Repertoire nie verlassen, und warum?

Oh Mann, das ist ´ne Frage. Es gibt so viele wichtige Songs...1961, z.B. Ben E. King´s "Stand By Me"...1967, Sam & Dave´s "Soul Man",...1974 bis heute spiele ich Latimore´s "Let´s Straighten It Out"...Funk Bands wie die ADC Band, Fatback, The J.B.´s, Meters, Zapp, Funkadelic...nein, es geht nicht, sorry. Die Liste würde zu lang.


Als du in den 70igern durch die Amerikanischen Kasernen gezogen bist, hast du etliche Funk & Soul-Größen getroffen, wie z.B. die Dramatics oder die Drifters. Zunächst, wie kam es dazu?

In den US Kasernen wurde ich, wie schon erwähnt, vor allem für die "Black Nights" engagiert. Und zwar für die EM CLUBs (für die einfachen Soldaten), für die NCO CLUBs (höhere Dienstgrade) und OFFICERS CLUBs (Offiziere). Jeder dieser gruppen wurde ausgezeichnetes Entertainment geboten! Stars der Soulscene, manchmal gerade brandheiß in den Charts, kamen nach Deutschland um die Truppen zu unterhalten, in sogenannten "Floor-Shows"...Die Shows der Sänger und Bands dauerten meist ca. 90 Minuten. Ich wurde dafür engagiert, die Leute vorher in die richtige Stimmung zu bringen, und nach der Show wollten alle noch tanzen..dann wurde es "funky!"

Bild: Uwe Welsch mit Carl Douglas, 1975 (copyright by Uwe Welsch)

Was ist „Mr. Browns Funky Disco“ eigentlich genau?

Ich hatte damals eine transportable Anlage und mit der war ich, vor allem in Südhessen (Giessen, Butzbach etc.), unterwegs. Mit dabei: Ein oder zwei "Go Go Girls". Das war eine Auflage der US Army! (Damit die Leute, z. B. ein Teil der weißen GI´s, denen meine Musik nicht gefiel, wenigstens was "für´s Auge" hatten...

Mit welcher Person/Band war die umwerfendste Begegnung und warum?

Lou Rawls. Ich traf ihn in der Bar des Hyatt Hotels in Montreux, Schweiz. Er war dort, um noch einen "Schlummertrunk" zu nehmen. Am anderen Tag würde er auf dem Montreux Jazz Festival auftreten. Ich war schon eine Woche mit Freunden und meinem Sohn Milton auf dem Festival, musste aber am nächsten Tag wieder in Kassel arbeiten, konnte also seine Show nicht sehen. Vor allem für meinen Sohn war das bitter, denn er hatte noch nie eine Lou Rawls Show gesehen...Ich versuchte also Lou zu überreden, wenigstens EINEN Song mit der Band die in der Bar jammte (alles Musiker von verschiedenen Festival-Acts), zu singen. Einige seiner Kollegen versuchten das auch. Und schließlich gab er nach. Er ging auf die kleine Bühne und sang: "Tobacco Road". Wow! Es war wie auf der Live-Platte...Das Publikum klatschte im Takt und Lou Rawl´s einmaliger Bariton erfüllte den Raum. Plötzlich gab es eine kleine Unruhe an der Tür. Ein weiterer Star betrat den Raum. Es war der unglaublich gute Blues & Soulsänger Johnnie Taylor (wirklich, einer der besten!). Er schaute zu Lou. "Hey Lou, whatcha doin´?" Lou lachte und sagte: "Komm auf die Bühne und sing ein bisschen mit mir!" Dann sangen die beiden gemeinsam alte Hits von Sam Cooke. Beide hatten ja, wie Cooke, bei der Gospel Gruppe "The Soul Stirrers" mitgemacht, Sam Cooke hatte sogar Johnnie Taylor´s ersten Hit geschrieben, und so wurde diese phantastische Jam Session ein historischer Moment...


Ein Jahr später traf ich Lou Rawls in Las Vegas. Ich ließ ihm im "Desert Inn", wo er auftrat, meine Visitenkarte zukommen. Auf die Rückseite hatte ich geschrieben. Hi Lou, remember the night, last year at the Hyatt? With Johnnie? Die Antwort kam prompt. Eine Kellnerin sagte mir, dass mich Lou zu seiner Backstage Party einladen würde. Ich solle Allen noch mal erzählen, wie das war, letztes Jahr in der Schweiz. Johnnie und er hatten sich zuvor sieben Jahre lang nicht gesehen und so war jener Abend nicht nur für die Gäste in der Bar ein besonderer Moment. Lou sagte mir, dass es einer der schönsten Abende war, die er je hatte. Und ich sagte: "Komisch, so geht´s mir auch!"

Bild: Uwe Welsch und Fats Domino (copyright by Uwe Welsch)

Stell Dir vor, Du sitzt in deiner DJ-Kanzel. Ich bin Gast und möchte ein Lied hören. Ich summe Dir irgendetwas vor, dass du leider nicht identifizieren kannst Da ich sehr emotional bin, fange ich auf dem Tanzboden zu heulen an. Andere Gäste werden schon merklich unruhig. Wie rettest du die Situation (P.S. Ein anderes Lied kann mich auch nicht aufheitern)?

Gottseidank musste ich nie in so einer bescheuerten Kanzel sitzen...Aber mal sehen. Du sitzt also da und heulst...OK. Ich lege einen tieftraurigen Deep Soul -Song auf und sage zum Rest des Publikums, auf Dich zeigend: "Dieser Mann hat den Blues. Vielleicht hat ihn sein Mädchen verlassen, oder vielleicht hatte er auch nur ein paar Drinks zu viel...Ich werde das mal herausfinden...Dann gehe ich zu Dir, ziehe Dich hoch und drücke Dich an meine Schulter. Ich flüstere Dir tröstend ins Ohr: "Ja, weine. Lass´ es raus" dann gehe mit Dir, Arm in Arm, als würden wir uns schon ewig kennen, in Richtung des Geschäftsführers. Dem flüstere ich auch was ins Ohr, nämlich: "Schaff mir diesen Heini vom Halse, gib´ ihm was zu trinken oder mach sonst was, aber lasse ihn ja nicht wieder auf die Tanzfläche!"

Stell Dir vor, du hättest nie diese Dinge aus deinem Leben erlebt. Was für ein Mensch wärst Du heute?

Möglicherweise wäre ich jetzt viel ruhiger. Ich würde auf meinem Sofa liegen und mit der goldenen Uhr spielen, die man mir für 45 Jahre treue Dienste verliehen hätte..Ich war nämlich mal Buchhalter!

Bild: Kurtis Blow und Uwe Welsch im Jahre 2009 (copyright by Uwe Welsch)

Was hast du noch in Petto für die nächsten Jahre? Wo willst Du hin? Was sind deine Pläne? Auf was dürfen wir uns freuen?

Als ich Rufus Thomas das letzte Mal sah, sangen 3000 (überwiegend junge) Italiener "Happy Birthday" zum 80. (!) Geburtstag des Soulsängers. Rufus Thomas tourte um den Globus als "The Oldest Teenager In The World"...Er starb am 15.12.2001. Dieser Titel ist also wieder frei...


Im April 2010 war ich zum 2. Mal als Funk-Deejay beim größten Soul Festival Deutschlands, beim "Baltic Soul Weekender" und wurde dort regelrecht gefeiert!! Das macht mir Mut, immer so weiter zu machen.




Am 19. Juni bin ich mit meinem Programm "The Many Faces Of Funk", und dem Frankfurter Top Soul/Funk Deejay DJ Sportwagen im "English Theatre" in Frankfurt/Main. Ein Sommerfest mit dem Soulsänger Jeffrey Staten und seiner neuen Band, sowie Mastermixer Uncle S@m folgt...Ich denke, wenn alles gut geht, werde ich noch oft rufen:

Throw your hands in the air, wave ´em, like you just don´t care, If you wanna get down, with Mister Brown...somebody say: Oh Yeah!!


Also, wenn Ihr Uwe Welsch einmal in Kassel begegnen wollt, dann schaut doch einfach auch vorbei im Theaterstübchen, Jordanstrasse- Jeden 2. und 4. Samstag: Funk und Disco Sound. Jeden 1. Freitag: „Last Penny Party“ Non-Stop Old-Skool-Funk, Disco & Breakdance und Electro Funk!

oder virtuell für aktuelle Termine unter:

http://www.djmrbrown.de/

Noch aktueller sind die Einträge bei "Wer kennt Wen" unter dem richtigen und unter dem Künstlernamen. Demnächst werden auch die Termine bei Facebook veröffentlicht.

text and pictures copyright by Uwe Welsch.
questions by "Lovebug".

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